Die Torpedierung der EU-Entwaldungsverordnung von Landwirtschaftsminister und der Landwirtschaftskammer stützt sich auf Falschmeldungen und Halbwahrheiten. Südwind bietet hier Klarheit und widerlegen die gängigsten zehn Mythen. Der Faktencheck basiert auf dem Verordnungstext der EU sowie auf öffentlich zugänglichen Dokumenten der EU-Kommission.
Behauptung: In der EU gibt es keine Entwaldung. Daher sollte sie von der Verordnung ausgenommen werden.
Fakten: In der EU gilt eine kahlgeschlagene, baumlose Fläche immer noch als Wald – wenn keine Umwidmung erfolgt. Auch illegaler Einschlag ist in der EU durchaus ein Thema, etwa in Rumänien. Die Entwaldungsverordnung will nicht nur Entwaldung, sondern auch Waldschädigung (Umwandlung von Primärwäldern) bekämpfen. Sie ist außerdem notwendig, um die Klimaverpflichtungen der EU einzuhalten und die Ziele zum Schutz der Biodiversität erreichen zu können. Denn aktuell kommt es innerhalb der EU nicht nur zu einem fortschreitenden Verlust an Waldflächen durch Abholzungen, die Klimakrise verursacht auch das Absterben naturferner Nadelholzplantagen. Wenn ehemalige Wälder zu Steppen werden, wird das die Landschaften weiter aufheizen und die Klimaerhitzung noch stärker anfeuern. Auch wertvolle, letzte Natur- und Urwälder schwinden, etwa in den Karpaten (Rumänien, Polen) oder in Sápmi und Skandinavien. In etlichen EU-Staaten, etwa in Deutschland, wird mittlerweile mehr CO2 durch Holzeinschlag und -verbrennung freigesetzt als der bestehende Wald speichern kann. Die CO2-Senke geht also zurück und wird negativ.
Behauptung: Kritikpunkte wurden nicht berücksichtigt
Fakten: Die Verordnung wurde am 31. Mai 2023 verabschiedet und ist das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Über einen Zeitraum von 1,5 Jahren wurde zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament verhandelt, unter Einbeziehung mit betroffenen Stakeholdern in ganz Europa. Der erste Entwurf wurde von der EU-Kommission schon im November 2021 vorgeschlagen. Es gab gemeinsame Besprechungen zwischen Landwirtschaftsminister:innen und Umweltminister:innen in den Arbeitsgruppen des Europäischen Rates. Daraus entstand eine gemeinsame Ratsposition. Auch das österreichische Landwirtschaftsministerium (BML) war zusammen mit dem Klimaschutzministerium (BMK) federführend in den Verhandlungen auf EU-Ebene. Im EU Parlament haben auch die EU-Abgeordneten der ÖVP und ihre europäische Fraktion EVP für die Verordnung abgestimmt. Das Landwirtschaftministerium hat die jetzt strittige Ratsposition zur Geolokalisierung als guten Kompromiss für Österreich bestätigt – so eine parlamentarischer Anfragebeantwortung im September 2022, Im Oktober 2023 klärte die WKÖ im Rahmen eines Workshops über die nun anzupassenden Änderungen auf; es scheint also wenig glaubhaft, dass diese jetzt erst auf Probleme betreffend die Anwendung der Verordnung gestoßen ist. Zudem wurden Empfehlungen sowie Kritikpunkte der WKÖ und LKÖ während des Prozesses von österreichischen Vertreter:innen in Verhandlungen berücksichtigt und in den Kompromiss hineingetragen.
Behauptung: Die Entwaldungsverordnung ist ein großer bürokratischer Mehraufwand.
Fakten: Die Warnrufe vor einer überbordenden Bürokratie sind unbegründet: Für den Rohstoff Holz wird die Verordnung erst dann schlagend, wenn ein Primärwald (oder: “Urwald”) in eine landwirtschaftlich genutzte Fläche umgewandelt wird. Insbesondere in Österreich existieren aber kaum mehr Primärwälder. Der bei weitem überwiegende Teil fällt unter “landwirtschaftlichen Nutzung” und wird daher nicht von der Verordnung erfasst. Die einzige wesentliche Neuerung für Waldbesitzer:innen der EUDR ist die einmalige Angabe von Geo-Lokalisationsdaten für die gesamte Fläche “plot of land” (Feld, Wald). Die restlichen Bestimmungen gelten bereits seit Einführung der Holzhandelsverordnung (EUTR) 2013. Kleinen und mittelständigen Betrieben wird durch abgeminderte Pflichten und Verantwortungen ausreichend entgegengekommen. Die Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit der Sorgfaltserklärung tragen Marktteilnehmer:innen bzw. Händler:innen, die das betreffende Erzeugnis erstmalig auf den Unionsmarkt bereitstellen. Insbesondere KMUs, die Produkte bloß weiterverarbeiten bzw. weiterverkaufen, tragen lediglich Verantwortung dafür, dass die Sorgfaltserklärung für das betreffende Produkt “mitgeliefert” wurde. Dass diese an das jeweils nächste Unternehmen in der Lieferkette verpflichtend (gemeinsam mit dem Erzeugnis) weitergereicht werden muss, wird in der Verordnung festgelegt. Das betreffende Unternehmen muss also nicht extra dafür Sorge tragen, dass das zuliefernde Unternehmen die Sorgfaltserklärung mitsendet. Von der Verordnung durchaus erfasst werden künftig z.B. Einkaufspraktiken österreichischer Unternehmen, die auf Produkte aus illegaler Entwaldung zurückgreifen. Dies ist ein aus der Vergangenheit bekanntes Problem, das auch österreichische Holzunternehmen betrifft. Die Verordnung sieht vor, dass sowohl die EU-Kommission als auch die nationalen Behörden bei der Umsetzung Unterstützung bieten. Das Landwirtschaftsministerium muss dafür sorgen, dass die zuständige Behörde über angemessene Befugnisse und Ressourcen verfügt, um die Verordnung rechtsgemäß vollziehen zu können.
Behauptung: Jeder Baum muss einzeln erfasst werden und die Angabe von Geolokalisationsdaten ist schwierig.
Fakten: Es ist nicht erforderlich, jeden Baum einzeln zu erfassen. Stattdessen genügt es, den sogenannten “plot of land”, also den Wald als Ganzes, vergleichbar mit einem Acker für die Landwirtschaft, einmalig mit Geolokalisationsdaten zu versehen. Dies ist heutzutage sehr einfach mithilfe eines Mobiltelefons und Google Maps möglich. Jede:r Landwirt:in oder Waldbesitzer:in dokumentiert bereits jetzt, welche Holzarten in welcher Menge (Volumen) geerntet wurden. Zudem wird ebenfalls jetzt schon festgehalten, von welchem Feld oder Wald geerntet wurde. Die Innovation der EUDR besteht darin, dass die GPS-Daten der Fläche (Feld oder Wald) dokumentiert werden müssen. Viele Landwirt:innen verfügen jedoch bereits aus anderen Gründen über diese Daten (z.B: zur Beantragung von EU-Subventionen für ihr Land). Das Hochladen einiger grundlegender Informationen alle 5 bis 10 Jahre sollte daher ein überschaubarer Aufwand sein und steht im Verhältnis zum wirtschaftlichen Ertrag, der damit erzielt wird.
Behauptung: Wenn das Länder-Benchmarking der Kommission nicht fertig wird, stellt das eine erhebliche Mehrbelastung für Waldbesitzer:innen und Bäuer:innen dar.
Fakten: Die Risikokategorie hat keinen Einfluss auf die Angabe von Geolokalisationsdaten. Zudem sind nur Bäuer:innen davon betroffen, die mit betroffenen Produkten (Kakao, Kaffee, Soja, Palmöl, Rindfleisch, Kautschuk und Holz) arbeiten. Außerdem haben jene Bäuer:innen, welche EU-Flächenpremien erhalten, ihre Geolokalisationsdaten sowieso bereits ermitteln müssen. Für jene fällt der zusätzliche Aufwand damit komplett aus. Die Ausgangslage des Benchmarkings setzt alle Länder auf eine normale Risikostufe. Dies bedeutet, dass neben der Sorgfaltserklärung auch eine Risikoanalyse und -minimierung nachgewiesen werden muss. Wie dies nachgewiesen wird, ist dabei weitgehend dem landwirtschaftlichen Unternehmen überlassen. Von einer Überforderung ist dabei nicht auszugehen. Zudem ist für das Länder-Benchmarking noch bis Ende des Jahres Zeit, um zumindest Niedrig-Risikoländer entsprechend einzustufen
Behauptung: Rinderzüchter:innen können ihre Produktion nicht auf biologische Landwirtschaft umstellen, wenn sie keine Wälder roden und in Weideland umwandeln dürfen.
Fakten: Die biologische Landwirtschaft erfordert keine Landnutzungsänderungen und muss nicht mit der Zerstörung von Wäldern verbunden sein. Der größte Dachverband für Biolandbau in Brüssel (IFOAM Organics Europe), der auch Bio Austria vertritt, hat die österreichische Rats-Initiative öffentlich abgelehnt: „Die Behörden benutzen den biologischen Landbau als Ausrede, um die Umweltgesetzgebung zu schwächen (…) die Argumente machen wirklich keinen Sinn.“ IFOAM hat sogar die Verabschiedung der EUDR als Teil der „Together for Forests“ Koalition offen unterstützt. Selbst wenn Wälder teilweise gerodet werden, gelten im Sinne der Verordnung auch seit längerem “stillgelegte” Wälder als landwirtschaftlich genutzt. Zudem wird die Definition von “Wald” erst ab einer Größe von einem halben Hektar (50x50m) erreicht. Einzelne Bäume, beispielsweise auf einem Feld, die die maschinelle Landwirtschaft erschweren, können auch weiterhin geschlagen werden, sollte dies für die Führung der Landwirtschaft erforderlich sein.
Behauptung: Die Entwaldungsverordnung schwächt die europäische Wirtschaft.
Fakten: Die EU gilt mit einem Anteil von 10 Prozent als weltweit zweitgrößte Importeurin von Produkten, die mit Entwaldung in Verbindung stehen. Die neuen Regelungen gelten sowohl für europäische Unternehmen als auch für Unternehmen aus Drittstaaten, die in die EU importieren. Dies sorgt für einheitliche Bestimmungen für betroffene Produkte und damit einen gemeinsamen Standard, nach dem die Unternehmen produzieren müssen, wenn sie in der EU tätig sein möchten. Dass dies nun automatisch bedeutet, dass andere globale Märkte die von der EU abgelehnten Produkte aufkaufen, ist nicht nachgewiesen. Vielmehr sind bereits zum Beispiel die USA auf die Entwaldungsverordnung aufmerksam geworden und begrüßen deren Ziele. Damit ist nicht auszuschließen, dass auch diese (noch) strengere Regelungen erlassen werden. Laut Unternehmen selbst stärkt die VO mittelfristig die heimische Landwirtschaft, die bereits jetzt ausreichend nachhaltig produziert. Zudem kann die VO tendenziell kleinere und mittlere Betriebe stärken, die nicht mehr in direkter Konkurrenz zu Produkten stehen, die aus industrieller Entwaldung stammen (s.u.). Was tatsächlich die Wirtschaft und Erwartungen und Prognosen schwächt, ist die durch Falschmeldungen erzeugte Unsicherheit unter Landwirt:innen und Unternehmer:innen.
Behauptung: Die Entwaldungsverordnung ist insbesondere für kleine und mittelständische landwirtschaftliche Betriebe in Österreich nachteilig.
Fakten: Produkte aus Drittstaaten sind oft erheblich billiger, da ihre Produktionsbedingungen weniger streng sind: So erlauben zu niedrige Löhne, fehlende Schutzvorkehrungen für Arbeitende und insbesondere die industrialisierte Entwaldung auf zuvor nicht genutzten Flächen einen Marktwert, der weit unter jenem in Österreich liegt. Dadurch steigt auch der Druck für österreichische Landwirt:innen, Produkte wie Fleisch, Soja oder Holz im Wettbewerb möglichst billig produzieren zu müssen. Durch eine strenge und wirksame Kontrolle der Einhaltung der Verordnung kann sichergestellt werden, dass kleine Betriebe in Österreich nicht länger in direkter Konkurrenz zu multinationalen Konzernen stehen, für die weniger strenge Vorschriften gelten. So wäre ein “level-playing-field” geschaffen, wonach jene Betriebe nicht länger benachteiligt wären, die bereits jetzt ökologisch nachhaltig wirtschaften. Zudem wird im Verordnungstext kleinen, landwirtschaftlichen Betrieben entgegengekommen, beispielsweise durch längere Umsetzungsfristen. Gerade in Österreich wird die Verordnung die allermeisten Wälder nicht erfassen, da diese bereits jetzt landwirtschaftlich genutzt werden. Hierbei handelt es sich größtenteils um Plantagen, da “Primärwalder” bzw. Urwälder im Sinne der Bestimmung (Art. 2 Z 8) in Österreich kaum noch vorhanden sind. Die Verordnung würde aber verhindern, dass entwaldetes Holz aus Primärwäldern importiert wird.